Langstadt gewinnt „Golden Match“, Dachau brilliert auch im Rückspiel

Von Stephan Roscher|April 29, 2024|bundesliga

Die Gegner der als Erster und Zweiter der Punktrunde direkt für das Halbfinale qualifizierten Teams aus Berlin und Weinheim wurden am Wochenende in den Play-off-Viertelfinals ermittelt. Dachau und Langstadt machten das Rennen. Die Fans erlebten sehenswertes, hochklassiges Tischtennis und in einem Fall Spannung bis zum Siedepunkt. Nämlich in Langstadt, wo erstmals das „Golden Match“ die Entscheidung bringen musste, die hauchdünn zugunsten der Hessen fiel – drei Bälle hatten diese am Ende mehr auf dem Konto als die ebenbürtige Mannschaft aus Bingen. Der TSV Dachau glänzte auch im zweiten Bayern-Derby binnen drei Tagen und ließ bei seinen beiden besten Auftritten der bisherigen Saison Ex-Meister Kolbermoor keine Chance.

TSV Langstadt – TTG Bingen/Münster-Sarmsheim 6:2, 3:3 (60:57)

160 Zuschauer in der Langstädter Eckehard-Colmar-Halle wurden am Sonntagnachmittag Zeugen eines der spannendsten Tischtennis-Nachmittage der letzten Jahre. Dies kann man ohne Übertreibung sagen. Nach einer Play-off-Partie von fast 200 Minuten plus dem 40-minütigen Nachschlag im „Golden Match“ waren alle Beteiligten, selbst die Sieger, fix und fertig.

Gewonnen! Siegesjubel Chantal Mantz.

Nach der 2:6-Hinspielniederlage am Samstagabend in Bingen, glich der TSV Langtadt zunächst aus und gewann seinerseits mit 6:2 gegen die Rheinhessinnen in einem Duell, das trotz des klaren Ergebnisses unheimlich umkämpft war. Das genaue Ergebnis spielte keine Rolle, lediglich bei einem Unentschieden oder einer weiteren Niederlage wäre der Gastgeber ausgeschieden. So aber kam es aufgrund des Gleichstands nach zwei Begegnungen erstmals zum „Golden Match“ direkt im Anschluss an die Partie, die Fans erlebten praktisch zwei Play-off-Spiele in direkter Abfolge, die sich als Nervenkitzel in allerhöchster Verdichtung entpuppten.

Bis einschließlich der letzten Saison wurde in solchen Fällen ein drittes Spiel wenige Tage später ausgetragen, doch die Vereine hatten einstimmig vor Saisonbeginn den neuen Modus beschlossen, um Terminproblemen vorzubeugen – schließlich ist auch in dieser Saison der internationale Tischtenniskalender mit heißer Nadel gestrickt und zusätzliche Spieltermine wären kaum zu finden. Somit gibt es nun das „Golden Match“, um den Sieger in Play-off-Duellen zu ermitteln, bei denen jedes Team einen Sieg erzielt hat. Ebenso wenn man sich beide Male 5:5 getrennt hat, was ja auch noch in der laufenden Saison geschehen könnte.

Dabei werden direkt im Anschluss an das Rückspiel nochmals zwei Doppel und vier Einzel mit jeweils nur einem Satz ausgetragen. Zwei frei zu stellende Doppel und anschließend die Duelle der Nummern eins gegen eins, zwei gegen zwei, drei gegen drei und vier gegen vier. Wer zuerst elf Punkte hat, gewinnt, eine Verlängerung gibt es nicht. Die Mannschaft, die vier Punkte verbucht hat, zieht in die nächste Runde ein. Bei einem 3:3 entscheidet die Balldifferenz. So verhielt es sich schließlich in Langstadt, wo den Beteiligten der allerletzte mögliche Akt erspart blieb. Wäre es nämlich bei 3:3 auch in der Balldifferenz zum Gleichstand gekommen, hätte jedes Team eine Spielerin für ein finales Duell benennen müssen, die lediglich einen Kurzsatz um alles oder nichts bis zum sechsten Punkt gespielt hätten.

Noch wussten sie nicht, welches Wechselbad der Gefühle vor ihnen lag: Die Spielerinnen der TTG Bingen/Münster-Sarmsheim beim Einmarsch in die Langstädter Tischtennis-Arena. Es sollten vier Stunden und 20 Minuten voller Emotionen werden.

Die Langstädterinnen siegten aufgrund eines Plus von drei Bällen und zogen damit unter dem ohrenbetäubenden Jubel der Fans zum dritten Mal in der Vereinsgeschichte ins Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft ein. Allerdings müssen sie sich nun eine ganze Weile gedulden, bis es zu den beiden Vorschlussrunden-Duellen mit dem TTC 1946 Weinheim kommt, die erst am 21. und 23. Juni ausgetragen werden.

Am Vortag in Bingen hatte Langstadt, immerhin Herbstmeister und am Ende der Punktrunde Tabellendritter, nicht in seinen Rhythmus gefunden und war von bissigen Gegnerinnen förmlich an die Wand gespielt worden in der gewiss besten TTG-Partie der Saison. Ein 0:4 im vorderen Paarkreuz und ein einziges gewonnenes Einzel hinten durch Izabela Lupulesku war die magere Ausbeute. Nach der Partie hatte der Sportliche Leiter Manfred Kämmerer zu Protokoll gegeben: „Ein sehr enttäuschendes Ergebnis. Völlig verdienter Sieg von Bingen, die viel bissiger und zielstrebiger waren als unser Team. Zu Hause müssen wir uns deutlich steigern, um noch eine Chance zu haben.“

Die Kritik hatte gesessen, die Schützlinge von Trainerin Anna Rauch präsentierten sich vor ihrem Heimpublikum mit genau jenem Biss und Siegeswillen, den Kämmerer im Hinspiel dem Gegner attestiert hatte. Dennoch gab es viele enge, umkämpfte Matches und zahlreiche prickelnde Situationen, diesmal überwiegend mit dem besseren Ende für Langstadt. In den Einzeln überragte Chantal Mantz, am Vorabend noch an beiden Gegnerinnen klar gescheitert, die diesmal die Bingener Spitzenkräfte Lea Rakovac (3:1) und Elena Kuzmina (3:0) nach phasenweise begeisterndem Spiel besiegte. Ferner punkteten Franziska Schreiner (3:0 gegen Kuzmina) und Izabela Lupulesku (12:10 im fünften Satz gegen Karolina Mynarova) sowie das abermals prächtig harmonierende Doppel Schreiner/Lemmer.

Um 17.40 Uhr begann das historische „Nachsitzen“, bei dem es unglaublich konzentriert und fokussiert zur Sache ging und jeder einzelne Punkt wie eine Meisterschaft bejubelt wurde. Erneut gewannen Schreiner/Lemmer das Doppel gegen Kuzmina/Tomanovska (11:8), während in den Einzeln Franziska Schreiner (11:10 gegen Kuzmina) und Izabela Lupulesku (11:6 gegen Tomanovska) die Oberhand behielten. Niederlagen kassierten das TSV-Duo Mantz/Lupulesku (9:11 gegen Rakovac/Mynarova) sowie Chantal Mantz (10:11 gegen Rakovac) und Alena Lemmer (8:11 gegen Mynarova) – am Ende 60:57 Bälle zugunsten des TSV Langstadt.

Kämpferisch und spielerisch stark: Katerina Tomanovska.

Kurz, schnell und brutal war das „Golden Match“, letzteres zumindest für den, der bei einem solchen Showdown am Ende den Kürzeren zieht – in diesem Fall die Truppe aus Bingen, die so aufopferungsvoll gekämpft hatte. Nach exakt 40 Minuten war das Spektakel vorüber und der Jubel beim Gewinner schier grenzenlos.

„Ein Wahnsinnsmatch“, so Manfred Kämmerer. „Die neue Entscheidungsregel ist definitiv nichts für Herzkranke. Unser Team hat heute von Anfang an die Einstellung gezeigt, die wir gefordert haben. Die Fans sind voll auf ihre Kosten gekommen und haben das neue Format voll angenommen. Es war wieder ein Hexenkessel.“ Izabela Lupulesku war den Tränen nahe – Freundentränen: „Eine Wahnsinnsstimmung in der Halle heute. Die Zuschauer haben uns zum Erfolg getragen. Wir wollten nach dem Spiel gestern unbedingt heute eine Reaktion zeigen und das ist uns gelungen. Wir sind jetzt alle super happy.“

Kämmerer hatte noch eine Begebenheit vom „Golden Match“ beizusteuern, die illustriert, wie es in den Spielerinnen beim finalen Showdown aussah: „Beim letzten Spiel von Alena gegen Mynarova waren beide offensichtlich so nervös, dass sie vergessen haben, sich einzuspielen. Sie wollten nach der Aufschlagsauslosung sofort anfangen, bis der Schiri gefragt hat, ob sie sich nicht einspielen wollten. Da sieht man wie aufregend das für alle war.“

So freute man sich in Langstadt über den knappen Sieg im Zielfinish, v.l. Lorena Morsch, (halb verdeckt) Izabela Lupulesku, Chantal Mantz, Trainerin Anna Rauch.

Bei Bingen überwog der Stolz die Trauer, man war man stolz auf die Mannschaft, die in der gesamten Saison so prächtig harmoniert hatte und letztlich nur gefühlte Millimeter vom Halbfinale entfernt war. Da waren sich der Vorsitzende Joachim Lautebach und Trainer Peter Engel vollkommen einig. „Wir haben als Mannschaft über die gesamte Saison so viel erreicht und einen überragenden Team Spirit gezeigt, dass wir uns erhobenen Hauptes verabschieden können“, so Engel. „Auch wenn es für uns nicht ganz gereicht hat, gefällt mir der neue Modus, den sollte man beibehalten. Er sorgt für viel Spannung und es geht sehr konzentriert und fokussiert zur Sache, da jeder einzelne Ball von größter Wichtigkeit ist – in jedem Fall ein tolles, attraktives Erlebnis für die Zuschauer.“

Peter Engel und Joachim Lautebach trösten Karolina Mynarova.

TSV Dachau 65 – SV DJK Kolbermoor 6:2

Viele hatten vor den beiden Bayern-Derbys mit ganz engen Duellen gerechnet und ein Herzschlagfinale via „Golden Match“ für gut möglich gehalten. Selbst nach der klaren Heimniederlage Kolbermoors am Freitagabend hatten nicht wenige noch mit einer „Explosion“ des prominenten Dachauer Gegners im Rückspiel gerechnet, der im Januar noch im Pokalfinale gestanden hatte. Langstadt war dagegen von den meisten Beobachtern als klarer Favorit gegen Bingen betrachtet worden. Nun, es kam ganz anders: Langstadt und Bingen zeigten sich gleichwertig bis zum finalen Showdown, während Dachau in beiden Partien gegen Kolbermoor eindeutig obenauf war.

Dass dies der Fall war, war nicht etwa schwachen Leistungen von Kristin Lang und ihren Mitstreiterinnen geschuldet, auch wenn sie keine Bäume ausrissen und nicht an ihre Bestform herankamen, sondern einem Leistungshoch der Dachauerinnen, die sich auf den Punkt zweimal in Folge in absoluter Topform präsentierten. Und das in einer Saison, in der sie zuvor oft durch schwankende Leistungen aufgefallen waren mit starken und schwächeren Partien in regelmäßiger Abfolge. Am Ende hatte man sich als Punktrundenvierter mit positivem Punktekonto für die Play-offs qualifiziert, womit man ungefähr im Rahmen der Erwartungen lag.

Gegen Kolbermoor trat man dagegen beide Male im Stil einer echten Spitzenmannschaft auf. Das bekanntermaßen starke Spitzenpaarkreuz mit Sabine Winter und Liu Yangzi, letztere mit einer tollen 20:5-Bilanz durch die Runde gegangen, zündete den Turbo und glänzte in den beiden Derbys mit 6:0 Siegen. Ihre Kolleginnen ließen sich von dieser Souveränität anstecken und legten entsprechend nach, besonders Alina Nikitchanka im Hinspiel mit ihrem bärenstarken 3:0 über Hana Arapovic.

Im Rückspiel vor über 160 Fans versuchte es der TSV erneut mit einem Überraschungsdoppel, nachdem Tin-Tin Ho und Emine Ernst ihr Team im Hinspiel sensationell in Führung gebracht hatten. Diesmal fiel die Wahl auf die Formation Nikitchanka/Ernst, die nicht einmal im abgestiegenen Zweitligateam zusammen gespielt hatte. Das Außenseiter-Duo schlug sich tapfer, musste sich am Ende aber dem eingespielten Doppel Lang/Tiefenbrunner mit 1:3 geschlagen geben. Kein Beinbruch aus Dachauer Sicht, denn am Nebentisch dominierten Winter/Liu gegen Arapovic/Ghosh eindeutig und revanchierten sich für die 2:3-Niederlage aus dem Hinspiel.

Es folgten die Galaauftritte im Spitzenpaarkreuz: Sabine Winter, die ohnehin gut gegen Abwehr spielt, ließ Svetlana Ganina kaum einen Stich, während Liu Yangzi gegen Kristin Lang zwar den ersten Satz abgab, danach aber nur noch wenig Probleme hatte. Zur Pause war Dachau nur noch zwei Siege vom Halbfinale entfernt. Die 25-jährige Engländerin Tin-Tin Ho sorgte für den ersten, die diesmal auch im Einzel eingesetzte Laura Tiefenbrunner stand auf verlorenem Posten.

Doch auch Kolbermoor meldete sich nochmals zu Wort. Die diesmal anstelle von Alina Nikitchanka im Einzel aufgebotene Ungarin Orsolya Feher – Dachaus Trainer Alexander Yahmed hat ein Faible für kreative Aufstellungen und liegt damit nicht selten goldrichtig – konnte gegen Hana Arapovic durchaus Akzente setzen, unterlag aber mit 1:3 (8:11, 10:12, 11:6, 10:12).

Sollte da noch etwas gehen für das Gästeteam? Nein, denn nun war erneut Sabine Winter an der Reihe und sicherte ihrer Mannschaft in einem sehr ansehnlichen Match gegen Kristin Lang mit 11:5, 11:9, 9:11, 11:9 den bedeutungsvollen fünften Punkt. Um 16.20 Uhr war die Entscheidung gefallen, das nun eigentlich noch anstehende Match zwischen Liu und Ganina musste gar nicht mehr gespielt werden.

Ließ keine Fragen offen und spielte unheimlich souverän: Sabine Winter.

Das Halbfinalticket für Winter und Co. war hochverdient, daran gab es nichts zu rütteln. Gelingt es ihnen, in acht Wochen in den Halbfinals nochmals solche Leistungen abzurufen, muss auch Serienmeister ttc berlin eastside diesen Gegner sehr, sehr ernst nehmen.

Alexander Yahmed war verständlicherweise begeistert: „Das waren zwei super Play-off-Tage, da hat wirklich alles gepasst. In der Punktrunde hatten wir gegen Kolbermoor 1:3 gespielt und als bestes Ergebnis ein 5:5 erzielt und jetzt zwei so tolle Spiele! Ich bin echt froh, dass diesmal alles so gut gepasst hat. Ich denke, der Schlüssel war, dass der Verein komplett hinter unserem Team stand und wir das gespürt haben. Das gab nochmal den letzten Push.“

Kolbermoors Trainer und Abteilungsleiter Michael Fuchs erkannte die überragende Leistung des Gegners unumwunden an: „Unsere Spielerinnen haben heute nicht schlecht gespielt, aber am Ende war für uns heute nicht mehr drin. Dachau hat mit einem sehr starken oberen Paarkreuz verdient gewonnen.“

Konnte wenigstens ein Einzel in Dachau gewinnen: Hana Arapovic (SV DJK Kolbermoor).

VF-Play-off-Partien am Wochenende

Freitag, 18.00 Uhr:SV DJK Kolbermoor – TSV Dachau 65 1:6

Samstag,17.00 Uhr: TTG Bingen/Münster-Sarmsheim – TSV Langstadt 6:2

Sonntag, 14.00 Uhr: TSV Langstadt – TTG Bingen/Münster-Sarmsheim 6:2, 3:3 (60:57)

Sonntag, 14.00 Uhr: TSV Dachau 65 – SV DJK Kolbermoor 6:2

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Bingen mit ganz starkem Auftritt

Dachau mit Traumstart in die Play-offs

Jetzt wird es ernst: Die Play-offs beginnen am Freitag

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Liveticker

Fotos (8): Dr. Stephan Roscher.

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