Bingen gelingt faustdicke Überraschung, eastside kaum gefordert
Nur ganz wenige hatten es im Vorfeld für möglich gehalten, doch der TTG Bingen/Münster-Sarmsheim gelang tatsächlich die Revanche für die 0:6-Klatsche aus dem Hinspiel: Favorit SV DJK Kolbermoor hatte am Ende mit 4:6 das Nachsehen und entfernt sich immer weiter vom zuletzt anvisierten zweiten Platz. Der TSV Langstadt schickte sein „B-Team“ zum Meisterschaftsfavoriten ttc berlin eastside, das im Eiltempo mit 6:0 abgefertigt wurde.
ttc berlin eastside – TSV Langstadt 6:0
Allzu viel Tischtennis bekamen die rund 100 Fans des amtierenden Deutschen Meisters und Pokalsiegers, der zwei Tage zuvor das Halbfinale der Champions League erreicht hatte, nicht zu sehen. Mancher Besucher mag enttäuscht gewesen sein, da er erwartet hatte, dass Langstadt mit Europe-Top16-Siegerin Petrissa Solja sowie einer der beiden internationalen Top-Spielerinnen Cheng Hsien-Tzu und Dina Meshref anreisen würde. Doch keine aus dem erlesenen Trio war in der Sporthalle am Anton-Saefkow-Platz zu sehen, stattdessen schickten die Südhessen ihre durch Alena Lemmer verstärkte Drittliga-Mannschaft vorbei. Andererseits ist verständlich, dass der TSV, der das Hinspiel sogar in Topbesetzung mit 0:6 verloren hatte, gerade Petrissa Solja nach zahlreichen internationalen Einsätzen in den letzten Wochen die ersehnte „Atempause“ gönnte. Und Cheng Hsien Tzu, die als Nummer eins hätte spielen sollen, war nicht verfügbar, da sie bei den Portugal Open überraschend das Halbfinale erreicht hatte und dort gefordert war.
Es ist aber ein wenig auch der Fluch der guten Leistung, dass sich die verlustpunktfreie „Übermannschaft“ des Damen-Oberhauses gerade vor heimischer Kulisse nicht selten mit dezimierten Gegnern konfrontiert sieht, sodass den Berliner Fans in der Liga bisweilen wenig Unterhaltsames geboten wird. Anders verhält es sich in der Champions League.
eastside-Teamfoto unmittelbar vor der von der Wohnungsgenossenschaft Friedenshort präsentierten Partie.
eastside trat gegen Langstadt dennoch in recht starker Aufstellung an und hatte von seinen Topstars immerhin Fu Yu, Matilda Ekholm und Nina Mittelham aufgeboten. Kathrin Mühlbach ergänzte das Team. Die Geschichte der einseitigen Partie, die in nicht einmal 75 Minuten über die Bühne ging, ist schnell erzählt. Zwei Sätze durfte sich der Gast schnappen, nämlich durch das Doppel Kämmerer/Lemmer gegen Mittelham/Mühlbach sowie Anne Bundesmann gegen Mühlbach. Janina Kämmerer (gegen Fu Yu), Alena Lemmer (gegen Mittelham) und Ayumu Tsutsui (gegen Matilda Ekholm) blieben in ihren Einzeln komplett chancenlos, ebenso wie das Doppel Bundesmann/Tsutsui gegen Fu Yu/Ekholm.
„Langstadt hat besser mitgespielt, als es das deutliche Ergebnis vermuten lässt. Aber natürlich waren wir deutlich überlegen“, so ttc-Manager Andreas Hain, dessen Team die Tabelle mit imposanten 20:0 Punkten anführt. „Schade für die Zuschauer, die sich auf ein Wiedersehen mit Petrissa Solja und spannende Spiele gefreut hatten. Wir haben unsere Chance zu 100 Prozent genutzt und den nächsten Schritt in Richtung Deutsche Meisterschaft zurückgelegt.“
„Gegen Yu Fu hatte ich wirklich null Chancen“, so die realistische Analyse von Janina Kämmerer. „Das ist dann doch eine andere Liga.“ Dies trifft letztlich auf das gesamte Team des Gastgebers zu, in dessen „Liga“ allenfalls Spielerinnen wie Solja oder Cheng mithalten können. „Wir haben uns im Rahmen unserer Möglichkeiten verkauft“, so die Bewertung des Langstädter Auftritts in der Hauptstadt durch den Sportlichen Leiter Manfred Kämmerer.
TTG Bingen/Münster-Sarmsheim – SV DJK Kolbermoor 6:4
Die Rheinhessinnen hatten mit Kolbermoor noch eine Rechnung für die 0:6-Klatsche aus dem Hinspiel offen. Doch ernsthaft glaubte bei den Rheinhessen kaum jemand ernsthaft daran, dass man diese im zweiten Aufeinandertreffen vor heimischer Kulisse würde begleichen können, auch wenn die TTG allgemein als heimstark gilt. Man wollte den 150 Fans einfach nur gutes Tischtennis bieten und die Partie einigermaßen offen gestalten – es sollte kein zweites Mal die „Höchststrafe“ werden. Das hatte man sich fest vorgenommen.
Doch die Spielerinnen aus Bingen/Münster-Sarmsheim sind im Lauf der Saison zu einem echten Team zusammengewachsen. Was im ersten Saisondrittel noch etwas holprig wirkte und in manchem Betrachter Ängste auslöste, ob man überhaupt die Klasse würde halten können, läuft inzwischen rund und geschmeidig. Zudem glänzen alle Akteurinnen durch außerordentlichen Kampfgeist und eine gute Moral – auch in kritischen Situationen. Und das zahlt sich immer mehr aus. So auch gegen den Topfavoriten aus Oberbayern, der vor der Saison als einer der zwei großen Meisterschaftsfavoriten galt, diesem Anspruch im Lauf der Runde aber nicht immer gerecht wurde und mit nunmehr sieben Minuspunkten bereits recht weit entfernt ist von der zuletzt angestrebten Vizemeisterschaft.
Natürlich spielte dem Gastgeber in die Karten, dass der Gast ohne Abwehr-Ass Ding Yaping angereist war, die viele Jahre das Bingener Trikot getragen hatte. Da Anastasia Bondareva verletzt ist, musste eine Spielerin aus der zweiten Mannschaft als Ersatz aufgeboten werden. Die Wahl fiel auf Iana Zhmudenko, die in der 3. Liga mit einer makellosen 16:0-Bilanz notiert ist. Das Niveau im Oberhaus ist dennoch nochmals ein gutes Stück höher, wie auch die Reservistin erfahren musste, der weder in den Einzeln noch im Doppel ein Satzgewinn vergönnt war.
Nach einem 1:1 in den Doppeln – Mantz/Wan besiegten Ganina/Zhmudenko deutlich, Piccolin/Tomanovska zogen gegen Lang/Zhang mit 1:3 den Kürzeren – trennte man sich auch im vorderen Paarkreuz zunächst ausgeglichen, wobei der 3:2-Erfolg von Chantal Mantz gegen die US-Amerikanerin Lily Zhang, die letzte Saison noch das TTG-Trikot trug, schon ziemlich überraschend kam. Yuan Wan trotzte einer gut aufgelegten Kristin Lang zwar einen Satz ab, mehr war jedoch nicht drin. Und dann konnte der Gastgeber erstmals in Führung gehen. Dass Giorgia Piccolin gegen Iana Zhmudenko gewinnen würde – richtig eng ging es nur im dritten Satz zu – war erwartet worden, dass aber Katerina Tomanovska die mit einer 9:1-Bilanz angereiste Defensivkünstlerin Svetlana Ganina in einem wahren Thriller mit 15:13 im fünften Satz würde bezwingen können, war fast schon sensationell. 4:2 für Bingen – sollte der Außenseiter wirklich punkten können?
Zunächst einmal konnte Kolbermoor egalisieren. Chantal Mantz musste Kristin Lang zu einem 3:1-Erfolg gratulieren, wobei die letzten beiden Durchgänge erst in der Verlängerung entschieden wurden. Und Yuan Wan blieb gegen Lily Zhang beim 0:3 ohne echte Chance. Doch dann schlug der Gastgeber entscheidend zu: Gemeint ist hier weniger der glatte Sieg von Katerina Tomanovska gegen Iana Zhmudenko, der schon einmal das Remis sicherte.
Der finale Krimi zwischen Giorgia Piccolin – nicht gerade als „Abwehrkillerin“ bekannt – und der routinierten Svetlana Ganina zog die Fans in seinen Bann. Die Italienerin agierte nach dem klar verlorenen ersten Satz taktisch cleverer und zeigte die Geduld und Übersicht, die benötigt werden, um gegen Ganina überhaupt eine Chance zu haben. Piccolin konnte sogar mit 2:1 Sätzen in Führung gehen und die Sensation lag in der Luft, doch Kolbermoors Russin zog den Kopf noch einmal aus der Schlinge und glich aus durch ein 11:9 im vierten Durchgang. Der fünfte Satz musste folglich die Entscheidung bringen – und der war nichts für Zuschauer mit schwachen Nerven. Mit 5:3 führte Ganina, bevor Piccolin vier Punkte in Folge gelangen, die kurz darauf mit 9:6 führte und nur noch zwei Punkte vom TTG-Triumph entfernt war. Ihre Gegnerin kämpfte sich auf 8:9 und 9:10 heran, doch dann konnte Piccolin tatsächlich ihren ersten Matchball zum 11:9 verwandeln. Die Halle stand Kopf – nach packenden, dramatischen 222 Minuten war der Coup geschafft und der Jubel in Bingerbrück entsprechend groß.
„Ich muss dem ganzen Team großes Lob zollen“, so Bingens hoch erfreuter Vorsitzender Joachim Lautebach. „Ich bin mit der heutigen Leistung sehr zufrieden und die Zuschauer waren begeistert. Wir haben große mannschaftliche Geschlossenheit gezeigt und eine herausragende Leistung geboten. Unser Sieg war deshalb verdient, auch wenn uns natürlich entgegenkam, dass Ding Yaping nicht spielte.“ Drei Spielerinnen erhielten ein Sonderlob: „Besonders zu erwähnen sind die starke Leistung von Chantal Mantz gegen Lily Zhang und die tollen Spiele, die Katerina Tomanovska – nach Abwehr von zwei Matchbällen gegen sich – und Giorgia Piccolin gegen Svetlana Ganina gemacht haben. Mit diesen knappen Erfolgen war eigentlich nicht zu rechnen, da beide bis dahin nicht so gut gegen Abwehr gespielt hatten.“ Lautebach blickt optimistisch auf die kommenden Wochen: „Nun stehen wir mit 11:11 Punkten auf dem vierten Platz und können ganz entspannt den restlichen Aufgaben entgegensehen, die, mit Ausnahme des Spiels gegen Berlin, alle nicht unlösbar sind. Mal sehen, ob wir den derzeitigen Tabellenplatz bis zum Ende der Saison halten können.“
„Da habe ich mich mit meiner Prognose wohl getäuscht“, räumte Kolbermoors Trainer Michael Fuchs ein, der „ein umkämpftes und enges Spiel, welches im vorderen Paarkreuz entschieden wird“ erwartet hatte. „Grundsätzlich ist es im Doppel und oberen Paarkreuz wie erwartet beziehungsweise wie gewünscht verlaufen, allerdings hatte ich auch im unteren Paarkreuz mit zwei Punkten gerechnet. Dort haben sowohl Tomanovska, als auch Piccolin sehr umkämpfte Spiele gegen Svetlana [Ganina] für sich entschieden, was uns letztendlich die Punkte kostete.“
Beitragsbild oben: Giorgia Piccolin überzeugte gegen Kolbermoor und besiegte überraschend am Ende sogar Defensiv-Ass Svetlana Ganina.
Text & Fotos (2): Dr. Stephan Roscher
Teamfoto eastside: Verein