„Hongi“ nimmt Abschied von der großen Bühne

Von Stephan Roscher|Dezember 4, 2025|bundesliga

Qianhong Gotsch beendet ihre einzigartige Karriere aus gesundheitlichen Gründen

Dass der Zeitpunkt des Karriereendes in nicht allzu ferner Zeit einmal kommen würde, war Qianhong Gotsch und ihrem Umfeld natürlich schon länger klar. Schließlich befindet sich die Ausnahmespielerin mit ihren 57 Jahren im Winter ihrer beispiellosen Karriere, die im zarten Alter von elf Jahren mit dem Verlassen des Elternhauses im chinesischen Tianjin und dem Wechsel in ein Tischtennisinternat ihren Anfang nahm. Freilich hätte sich die Gärtringerin, seit vergangener Saison im Trikot von Bundesligist SV DJK Kolbermoor, ihren Abschied von der großen Bühne des kleinen Balles etwas anders vorgestellt. Nun sind es gesundheitliche Gründe, die sie dazu zwingen, den Schläger an den vielzitierten Nagel zu hängen.

Diagnose im vergangenen September

Es waren bereits Momente im vergangenen Jahr, die „Hongi“ Gotsch mit Sorge erfüllten. Sei es beim Tischtennissport oder auch bei normalen Abläufen im Alltag, immer wieder fühlte sie sich kraftlos, registrierte Störungen in der Feinmotorik, zuweilen begleitet von halbseitigen Lähmungserscheinungen. Die Diagnose nach einem MRT im September gab Klarheit: Es wurde eine Blutgefäßerkrankung des Gehirns festgestellt, bereits in der Vergangenheit kam es zu kleineren Blutungen. Auf dringendes ärztliches Anraten sei Leistungssport nicht mehr möglich, da dieser zu körperlichem Stress und hohem Blutdruck führe und somit das Risiko für Hirnblutungen signifikant erhöhe. „Natürlich hatte ich mir das Karriereende etwas anders vorgestellt“, sagt Qianhong Gotsch, die im gleichen Atemzug aber auch eine gewisse Erleichterung verspürt, „ich fühle mich nun wohler, dass der Druck abgefallen ist.“ Damit meint sie den Druck, sich auf hohem Niveau immer wieder neu beweisen zu müssen, die Leistungskurve stetig oben zu halten. Was zuletzt immer schwerer fiel.

Immer auf allerhöchstem Niveau

Über all die Jahre gelang es Qianhong Gotsch wie keiner anderen in Deutschland, auf allerhöchstem Level gegen die Konkurrenz zu bestehen. Im Jahr 1991 siedelte die gebürtige Chinesin nach Deutschland über, wurde in der früheren Heimat bereits Studenten-Weltmeisterin, chinesische Meisterin (1986) und bestritt für China drei Länderspiele. Der Weg nach Böblingen sollte für ihr weiteres Leben richtungsweisend sein, dort fand sie ihre sportliche Adresse und lernte ihren späteren Ehemann Ingo Gotsch kennen. Über Jahrzehnte prägte die sympathische Abwehrspielerin, die bei ihrem Spiel immer von einem „Mischmasch“ sprach, die Damen-Bundesliga. Kenner der Szene wie Böblingens Pressechef Manfred Schneider, der akribisch Buch führte, sprechen bei ihr von der erfolgreichsten Bundesligaspielerin aller Zeiten.

Zahlen einer außergewöhnlichen Laufbahn

„Blickt man auf die Länge ihrer Bundesligazugehörigkeit, verbunden mit den sportlichen Ergebnissen und der Konstanz, ist das sicherlich richtig“, bestätigt auch Ingo Gotsch. Die Zahlen sprechen Bände: In 24 Erstligajahren für die SV Böblingen, fünf weiteren für den TSV Betzingen (1998–2003) und nun beim SV DJK Kolbermoor gewann Qianhong Gotsch im normalen Punktspielbetrieb 684 Spiele und unterlag 173 Mal. Davon gingen einige Einzel aufgrund von Schwangerschaft und Verletzung kampflos an die Gegnerinnen. Die Pflichtspielbilanz von Gotsch bei der SV Böblingen, inklusive Pokal- und Play-off-Spiele, liest sich mit 795:181 nicht minder spektakulär.

Eine Karriere voller Höhepunkte

Ihre größten Erfolge im Einzelsport erspielte sich Gotsch in den knapp drei Jahren von 1998 bis 2000, in denen sie – vor Gründung ihrer Familie – den Fokus auf internationale Einsätze legte. In Bremen wurde sie 2000 Einzel-Europameisterin, bei den Olympischen Spielen in Sydney wurde sie nach einem unglücklichen Aus im Viertelfinale Fünfte, und in der Weltrangliste kletterte sie hoch bis auf Platz vier. Auf deutscher und europäischer Ebene gewann sie alle renommierten Turniere und Ranglisten, im Mannschaftssport ergatterte sie mit dem TSV Betzingen im Jahr 2003 den Europapokal. Mit der SV Böblingen, der sie über all die Jahre sehr ans Herz gewachsen war, blieb ihr der große Traum vom deutschen Mannschaftstitel verwehrt, lange stand bei ihr dabei die Vereinstreue im Vordergrund. Nach der Auflösung der SVB-Mannschaft wurde in Kolbermoor ein weiterer Anlauf auf den DM-Titel unternommen, der in der Vorsaison mit dem etwas überraschenden Aus im Play-off-Viertelfinale ein abruptes Ende nahm.

Ein neuer Lebensabschnitt

Für Qianhong Gotsch, die sich seit vielen Jahren auch kommunalpolitisch im Gärtringer Gemeinderat engagiert, bricht nun eine neue Lebensphase an, die freilich nicht ohne den Tischtennissport vonstattengehen kann. Als Trainerin von Vereinsmannschaften oder einzelnen Spielern wird sie ihr Wissen und ihre Erfahrung an folgende Generationen weitergeben. „Ich möchte mich ja weiterhin fordern, wenn auch mit weniger Stress“, meint Qianhong Gotsch, „es ist mir sehr wichtig, dem Sport nun etwas zurückzugeben.“ Auf die Frage, ob es vorstellbar sei, den Schläger mal in unteren Spielklassen wieder in die Hand zu nehmen, hat sie eine klare Meinung: „Das ist eher nicht vorstellbar.“ Ihr Ehemann hat die Erklärung parat: „Auch aufgrund ihrer chinesischen Schule hat Hongi immer die höchsten Ansprüche an sich selbst, das ist unabhängig von der Liga. Insofern wäre das kontraproduktiv.“

Ein beeindruckendes Kapitel geht zu Ende

Über 46 Jahre betrieb Qianhong Gotsch aktiv den Tischtennissport, quasi von Beginn an auf höchstem und professionellem Leistungsniveau. Oftmals – gerade in jungen Jahren – verbunden mit privaten Entbehrungen, aber auch mit zig unvergesslichen Momenten und Erlebnissen. Dieses beispiellose Kapitel im Frauentischtennis wird nun zugeschlagen, aber wird in Tischtenniskreisen sicherlich nie in Vergessenheit geraten. Ingo Gotsch blättert in alten Zeitungsberichten. „Es waren schöne Zeiten“, sagt ihn.

Verabschiedung im Rahmen der Pokalmeisterschaften im Januar

Auch beim SV DJK Kolbermoor hat man die Nachricht vom abrupten Karriereende mit Bedauern zur Kenntnis genommen. „Es ist sehr schade, dass Hongi aufhören muss und dass das Engagement leider nicht so klappte, wie es sich beide Seiten vorgestellt haben. Wir hätten gerne mit ihr um den deutschen Mannschaftstitel gekämpft, der ihr ja noch in ihrer großen Erfolgssammlung fehlte“, sagt Kolbermoors Abteilungsleiter Dr. Michael Fuchs, „von Vereinsseite haben wir jedoch größtes Verständnis für die Situation und wünschen Hongi für die Zukunft Gesundheit und alles Gute.“ Im Rahmen der Deutschen Pokalmeisterschaften, die am 10. und 11. Januar 2026 in Kolbermoor zur Austragung kommen, wird Qianhong Gotsch in Gegenwart aller Bundesligisten und sicherlich zahlreicher Weggefährten gebührend verabschiedet. Und nicht wenige der Anwesenden dürften dann mit Hochachtung und Respekt auf die außergewöhnliche Karriere einer Tischtennis-Ikone blicken.

Autor: Thomas Holzapfel

Beitragsbild: So kannte man Hongi in der Bundesliga: Immer lachend, (fast) immer siegreich (Archivfoto: Roscher).

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