Voll ausgekostet: Zwei Sonntags-Thriller in der 1. Bundesliga Damen
Bingen gewinnt auch in Kolbermoor, Punkteteilung in Langstadt
Es geht weiter im Damen-Oberhaus mit Spielen, die nichts für schwache Nerven sind und von akut herzinfarktgefährdeten Zuschauern besser gemieden werden sollten: Die TTG Bingen Münster-Sarmsheim konnte an den tollen Auftritt gegen Weinheim eine Woche zuvor anknüpfen und entführte mit 6:4 beide Punkte aus Kolbermoor. Ein leistungsgerechtes Remis erlebten die Fans nach dreieinhalb packenden Stunden in Langstadt. Aufsteiger Jena, der wohl stärkste Aufsteiger seit Jahren, kam völlig verdient zu einem Punkt beim Spitzenreiter.
SV DJK Kolbermoor – TTG Bingen/Münster-Sarmsheim 4:6
Manche hatten geglaubt, Bingens toll herausgespielter Heimsieg über Vizemeister Weinheim wäre eine Eintagsfliege gewesen. Weit vorbei ist auch daneben!
Die Rheinhessinnen demonstrierten im fernen Oberbayern eindrucksvoll, was man mit einer gut eingespielten, perfekt aufeinander abgestimmten Truppe ohne Stars und zwei prächtig harmonierenden Doppeln im Mannschaftssport Tischtennis alles erreichen kann. Im Fußball hat man früher gerne von den „elf Freunden“ gesprochen, hier wäre die Charakterisierung als „vier Freundinnen“ wirklich angebracht.
Zwar konnte der Gastgeber wieder auf Spitzenspielerin Kristin Lang zurückgreifen, doch bei der lief es gar nicht rund und sie ging – ganz ungewöhnlich für die ansonsten so zuverlässig liefernde „Leitwölfin“ – komplett leer aus. Die starken Hana Arapovic und Svetlana Ganina, die in den Einzeln jeweils ungeschlagen blieben, konnten das nicht wettmachen.
Wird immer besser: Hana Arapovic (Foto: Armin Schimkat).
Apropos leer ausgehen: Dies begann aus Sicht der Oberbayern eben bereits mit den Doppeln, während Bingen seine diesbezügliche Bilanz auf sagenhafte 7:1 ausbauen konnte. Und das nicht einmal knapp und vom Glück begünstigt, sondern erstaunlich souverän: Rakovac/Mynarova besiegten Lang/Arapovic ebenso ohne Satzverlust wie Tomanovska/Kuzmina ihre Kontrahentinnen Tiefenbrunner/Pranjkovic. Spätestens da war jedem der knapp 110 Zuschauer klar, dass es eine enge Geschichte werden würde, weit entfernt von dem zumindest von kühnsten Optimisten erhofften Sonntagsspaziergang. Und genau so wie von Kolbermoors Trainer und Abteilungsleiter Michael Fuchs erwartet, der Mitte der Woche ein „ähnliches Spiel wie gegen Jena, mit offenem Ausgang“ prognostiziert hatte.
2:0 für Bingen, nun musste sich der Deutsche Meister von 2018 etwas einfallen lassen, tat er aber nicht, zumindest noch nicht: Kristin Lang musste nach nur drei Sätzen überraschend der tschechischen Linkshänderin Katerina Tomanovska gratulieren. 0:3 – das war natürlich zu heftig und nun bäumte sich Kolbermoor auf. Die bärenstarke Hana Arapovic gewann das Kroatien-Duell gegen Lea Rakovac, Bingens Beste gegen Weinheim, in fünf Sätzen. Svetlana Ganina durfte wieder im hinteren Paarkreuz aufschlagen und dort ist sie bekanntlich eine Bank. So auch gegen Karolina Mynarova, die nur den letzten der drei Sätze eng gestalten konnte.
2:3, doch danach waren wieder die Gäste an der Reihe und bauten ihre Führung sogar auf 5:2 aus. Naomi Pranjkovic war nur im ersten Satz ihrer ungleich erfahreneren Gegnerin Elena ebenbürtig und unterlag mit 1:3, während Kristin Lang gegen Lea Rakovac eine 2:0-Satzführung verspielte und im Entscheidungsdurchgang mit 8:11 den Kürzeren zog. In Durchgang vier hatte die frühere DTTB-Nationalspielerin einen Matchball nicht nutzen können. Doch Kolbermoor zeigte Moral und kämpfte sich abermals heran: Arapovic ließ Tomanovska beim 3:0 keine Chance und Ganina rang Kuzmina trotz eines zwischenzeitlichen 1:2-Satzrückstands nieder. Nun traute man der 18-jährigen Naomi Pranjkovic durchaus zu, ihrem Team wenigstens das Remis zu sichern. Dazu musste sie aber Karolina Mynarova schlagen. Mit 1:0 und 2:1 Sätzen legte Pranjkovic vor, doch als Mynarova dran blieb und Durchgang vier gar mit 11:1 gewann, zeigte die Bayerin Nerven. Im Entscheidungssatz lagen beide bis zum 8:8 gleichauf, dann punktete Mynarova und erspielte sich zwei Matchbälle. Einen konnte die junge Deutsche noch abwehren, doch den zweiten nutzte Mynarova zum umjubelten Sieg ihres Teams, den zweiten gegen einen namhaften Ligakonkurrenten in Folge.
Bingen ist nun Tabellenvierter mit 4:4 Zählern und gastiert am kommenden Sonntag in Thüringen beim starken Aufsteiger Jena. Kolbermoor fiel mit 3:5 Punkten einstweilen auf Rang fünf zurück und kann die Scharte vom Bingen-Spiel schon am kommenden Sonntag auswetzen, muss dazu aber vor heimischer Kulisse die SV Böblingen mit ihrem bärenstarken Spitzenpaarkreuz schlagen. Ein Selbstläufer wird das gewiss nicht.
„Wieder mal ein Spiel, in dem wir in wichtigen Situationen nicht die Punkte machen konnten“. So Michael Fuchs. „Kristin hat Matchball gehabt und danach einen Netzball kassiert und unglücklich den Satz verloren und im fünften Satz dann auch sehr, sehr knapp verloren. Aber das Problem war auch einfach unsere Schwäche heute in den Doppeln, wo wir sehr schlecht gespielt haben. Zweimal chancenlos, da die Gegnerinnen stabil gespielt haben und den Ball sicherer auf den Tisch gespielt haben, auch in den Einzeln.“ Dort sei es ansonsten zwar etwas besser gelaufen, doch es sollte nicht sein: „Hana war sehr stark und Svetlana hat wieder gut gekämpft und die Punkte geholt. Kristin hatte nicht ihren besten Tag erwischt, aber ihre Gegnerinnen haben sich auch extrem gepuscht, wie etwa Tomanovska. Für Naomi war der Druck dann natürlich groß, gegen Mynarova hatte sie dann die Chance bei 8:8 im fünften Satz, aber dann lag es halt an Kleinigkeiten.“ Fazit von Michael Fuchs: „Für uns mal wieder ein bitteres Spiel, in dem wir einen oder auch zwei Punkte vergeben haben. Wir sind jetzt erst mal niedergeschlagen, werden aber versuchen, uns im Lauf der Woche wieder aufzurappeln und dann gegen Böblingen die Punkte zu holen.“
Verschworene Gemeinschaft mit perfektem Teamwork: TTG Bingen/Münster-Sarmsheim, v.l. Lea Rakovac, Karolina Mynarova, Elena Kuzmina, Katerina Tomanovska (Foto Verein).
„Wir sind natürlich sehr zufrieden nach so einem tollen Kampf mit so einem erfreulichen Ergebnis“, bekräftigte Bingens Vorsitzender Joachim Lautebach einige Stunden nach der Partie. „Hervorragend waren wieder unsere Doppel. Schön auch, dass alle Spielerinnen etwas zum Sieg beisteuern konnten. Die Mädels verstehen sich wirklich gut, das trägt auch zum Erfolg bei.“ Lautebach fügte hinzu: „Es hat mich besonders gefreut, wie stark Katerina Tomanovska gegen Lang gespielt hat. Und auch, dass Karolina Mynarova am Ende gegen Pranjkovic die Nerven behalten hat. Es war ein tolles Spiel und auch die Zuschauer sind auf ihre Kosten gekommen, obwohl ihre Mannschaft verloren hat.“ Viel Zeit bis zur nächsten Herausforderung bleibt nicht: „Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt sehr zufrieden und wollen nun sehen, ob wir am Sonntag auch in Jena bestehen können. Das wird bestimmt wieder ein interessantes Spiel.“
TSV Langstadt – SV SCHOTT JENA 5:5
Sie haben es ausgekostet, dreieinhalb Stunden lang bis zum letzten Ball. Dreieinhalb Stunden Hochspannung und immer wieder Applaus im Stakkato von den etwas über 160 begeisterten Fans. Eine Partie, die zweimal kippte, je einmal nach jeder Seite, um am Ende mit dem gerechtesten möglichen Resultat zu enden. „Ein Dreifach-Hitchcock“, so Jenas Trainer Ralf Hamrik nach den atemberaubenden 210 Minuten. „Was für ein supergeiles Spiel!“, freute sich der sonst eher zurückhaltende Tischtennislehrer. „Wer eine solche Werbung für die Damen-Bundesliga live erlebt hat und nicht wiederkommt, dem kann man auch nicht mehr helfen.“
Auf Langstädter Seite empfand man es nicht anders. „Wahnsinnsspiel. Es war eine Achterbahn der Gefühle. Zu Beginn dachte ich, es geht ganz schnell verloren. Dann führen wir, um dann zum Schluss um einen Punkt zu zittern“, sagte eine auch 20 Minuten nach Ende des Tischtennis-Thrillers noch recht aufgewühlte Anna Rauch, Trainerin der Südhessen. „Ich denke aber, es war ein gerechtes Ergebnis, mit dem beide Teams zufrieden sein können. Besonderen Grund zur Zufriedenheit hatten die jeweils in beiden Einzeln erfolgreichen Franziska Schreiner und Izabela Lupulesku, während eine Chantal Mantz diesmal komplett leer ausging. „Der Sieg letzte Woche in Böblingen hat mir Auftrieb gegeben“, erklärte Schreiner ihre starken Auftritte. „Ich bin froh über meine beiden Siege. Gerade nach dem Satzrückstand gegen Takeya habe ich immer an meine Chance geglaubt.“
Das war auch bitter nötig nach dem verpatzten Doppelstart. Wie schon vor drei Wochen in Bingen wurde seitens der Langstädterinnen kein Doppel gewonnen, während man das andere Doppel-Gesicht, das vom letzten Sonntag in Böblingen, wo man mit 2:0 gestartet war, nicht zeigen konnte. Wobei man natürlich auch sagen muss, dass das Duo Franziska Schreiner und Lorena Morsch – die 15-Jährige Morsch kam erneut zum Einsatz, da Cheng Hsien-Tzu nicht zur Verfügung stand – denkbar knapp mit 12:14 im Entscheidungssatz gegen Takeya/Harac unterlag.
Es lief in der ersten Phase des Spiels wenig zusammen bei den bis dahin glücklosen Gastgeberinnen, während der in Topbesetzung – nennen wir es besser die zurzeit wohl beste mögliche Aufstellung – mit Misuzu Takeya, Ece Harac, Valerija Mühlbach und Koharu Itagaki angereiste Aufsteiger rasch mit 3:0 in Führung ging und wie der sichere Sieger aussah. „Franzi“ Schreiner hielt ihr Team im Spiel durch ihren Fünf-Satz-Sieg über die 15-jährige Takeya, bisher eine der besten Bundesligaspielerinnen im Spitzenpaarkreuz.
Nach der Pause drehte Langstadt richtig auf: Lupulesku (3:0 gegen Itagaki) und Morsch (3:1 gegen Mühlbach) sorgten für den Ausgleich und plötzlich schien alles in die Langstädter Richtung zu laufen, da vorne Mantz und Schreiner jeweils locker ihre beiden ersten Sätze gewannen. Doch nur Schreiner brachte ihr Match durch, während Mantz mit zunehmender Matchdauer glückloser und auch etwas überhastet agierte und Takeya doch noch gratulieren musste. Auf einmal schien das Momentum wieder auf Jenaer Seite zu sein, die Körpersprache der Thüringerinnen signalisierte mit einem Schlag wieder reichlich Selbstvertrauen. So mussten die Südhessinnen froh sein, am Ende das Remis festzuhalten durch Lupuleskus knappen Sieg über Mühlbach, während Morsch fast ebenso knapp Itagaki gratulieren musste – die beiden deutschen Jugendnationalspielerinnen kennen ihre gegenseitigen Stärken und Schwächen natürlich aus dem Effeff.
Auch in Langstadt wieder stark: Jenas Nummer eins Misuzu Takeya (Foto Roscher).
Durch das Remis hat der TSV Langstadt seine Tabellenführung mit nun 8:2 Punkten verteidigen können. Erster Verfolger ist Titelverteidiger ttc berlin eastside (6:2). Dritter bleibt Jena mit 5:5 Zählern. Am kommenden Sonntag empfangen die Thüringerinnen den neuen Tabellenvierten Bingen zu einem interessanten Duell, während die Langstädterinnen erst wieder am 10. Dezember gefordert sind, wenn der SV DJK Kolbermoor seine Visitenkarte in der Eckehard-Colmar-Halle abgibt.
Links
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Beitragsbild oben: Emotion pur: Izabela Lupulesku und Anna Rauch (Foto Roscher).