Erneuter Wahnsinns-Thriller: Weil zieht nach 5:5 ins Halbfinale ein

Von Stephan Roscher|April 11, 2022|bundesliga

ESV Weil – SV Böblingen 5:5

Der ESV Weil hat hauchdünn den Einzug in die Play-off-Halbfinals geschafft. In einem weiteren Tischtennis-Krimi von diesmal 225 Minuten trotzte man einer bärenstarken SV Böblingen ein Remis ab und durfte am Ende aufgrund des besseren Satzverhältnisses jubeln.

Wer nach den nervenaufreibenden Play-offs vom Freitag und Sonntag geglaubt hatte, das heutige Entscheidungsspiel zwischen dem ESV Weil und der SV Böblingen könnte etwas weniger aufregend werden, sah sich getäuscht. Im Gegenteil, es verlief fast noch prickelnder und dramatischer als die beiden vorausgegangenen Partien, die jeweils mit 6:3-Erfolgen der Gästeteams geendet hatten, wobei natürlich auch am Sonntag die Spannung auf dem Siedepunkt war, als Hana Arapovic acht Matchbälle gegen Leonie Hartbrich nicht verwerten konnte und Böblingen dadurch das Entscheidungsspiel erzwang.

Remis hing am seidenen Faden

Am Ende hing das heutige 5:5 aus Weiler Sicht am seidenen Faden, durch das der ESV aufgrund des besseren Satzverhältnisses zum zweiten Mal in Folge in das Play-off-Halbfinale einzog. Vom abschließenden Match zwischen Vivien Scholz und Alexandra Kaufmann ist die Rede, vor dem jeder die Weilerin klar in der Favoritenrolle gesehen hatte, doch Kaufmann kämpfte sich mit unglaublicher Moral und großem Willen in den Entscheidungssatz, in dem Scholz aber eindeutig das Heft in der Hand zu haben schien. Aber nur bis zu ihrer 9:4-Führung. Danach machte die ältere der Kaufmann-Schwestern Punkt um Punkt und Erinnerungen an Arapovics Drama vom Vortag kamen hoch – und als es plötzlich 9:9 stand und Böblingen nur noch zwei Bälle vom Einzug in das Halbfinale entfernt war, witterten viele die Sensation und sahen nun Kaufmann psychologisch im Vorteil. Doch Scholz rappelte sich nochmals auf und machte die beiden Punkte, die den ESV ins Halbfinale gegen Titelverteidiger Berlin brachten. Ein wahnsinniger Tischtennis-Thriller hatte nach drei Stunden und 45 Minuten seinen Sieger gefunden, auch wenn eigentlich ja kein Team gewonnen hatte. Doch das Remis nützte am Ende nur dem Gastgeber, der nach Sätzen (19:17) und übrigens auch nach Bällen (327:320) die Nase vorne hatte. Knapper kann eine so wichtige Entscheidung nicht fallen.

Böblingen im Spitzenpaarkreuz bärenstark

Zuvor war vieles ähnlich verlaufen wie am Vortag, auch wenn der ESV überraschend seine Ukrainerin Ievgeniia Sozoniuk aufgeboten hatte und dafür die Bulgarin Polina Trifonova in den Einzeln pausieren ließ. Der Schachzug wäre fast aufgegangen, da man auf einen Sieg der unangenehm zu spielenden Kurznoppenspielerin gegen die junge Annett Kaufmann gesetzt hatte, doch letztere spielte genauso stark und stabil wie am Sonntag und machte aus einem 1:2-Satzrückstand gegen Sozoniuk noch ein 3:2.

Somit blieb es wie gehabt: Alle Punkte im oberen Paarkreuz gingen an Böblingen, da auch Qianhong Gotsch wieder sehr souverän auftrat und lediglich Sozoniuk einen Satzgewinn gestattete. Da man wieder mit 1:1 aus den Doppeln herausgegangen war – das Weiler Topdoppel Trifonova/Sozoniuk hatte Gotsch/Alexandra Kaufmann keine Chance gelassen, Lupulesku/Scholz aber gegen Annett Kaufmann/Hartbrich mit 1:3 verloren -, stand der Gast aus dem „Ländle“ zurückgerechnet schon bei fünf Punkten, folglich musste Weil hinten alles gewinnen und auf das bessere Satzergebnis hoffen.

Arapovic gelingt Revanche gegen Hartbrich

Im ersten Durchgang schien diese Kalkulation voll aufzugehen. Hana Arapovic ließ gegen Alexandra Kaufmann beim 11:6, 11:4, 11:5 überhaupt nichts anbrennen und Vivien Scholz, der Leonie Hartbrichs Spiel sehr gut liegt, besiegte die Deutsch-Ungarin zum dritten Mal innerhalb von vier Tagen ohne größere Probleme (11:2, 11:8, 11:8). Im zweiten Durchgang kam es dann zur Neuauflage des Thrillers vom Vortag, doch diesmal agierte Arapovic viel konsequenter und nervenstärker und ließ Hartbrich an einem Erfolg nicht einmal schnuppern (11:6, 11:8, 11:5). Doch das alles wäre aus Weiler Sicht eben für die Katz‘ gewesen, wenn Scholz die Steilvorlage im Match gegen Alexandra Kaufmann nicht hätte nutzen können – und, wie oben beschrieben, es wurde ein Duell auf des Messers Schneide mit Happyend für den ESV Weil.

Am Ende ohne das nötige Quäntchen Glück: Alexandra Kaufmann (Archivfoto Roscher).

„Hitchcock hätte es nicht besser inszenieren können“: Stimmen zum Spiel

„Es war Emotion pur auf beiden Seiten. Hitchcock hätte es nicht besser inszenieren können. Es gab unglaublich spannende Spiele“, beschrieb Doris Spiess das Wechselbad der Gefühle. „Eigentlich dürfte es in diesem Spiel keinen Verlierer geben. Im Entscheidungsspiel Unentschieden zu spielen und mit zwei Sätzen am Ende besser dazustehen, ist wirklich Glück. Böblingen hat wie am Vortrag wieder bis zum Ende gekämpft.“ Die Weiler Abteilungsleiterin fuhr fort: „Vielleicht war es mitentscheidend, dass Ievgeniia Sozoniuk wieder mit dabei war. Und auch Hana Arapovic konnte heute wieder ihre Stärke ausspielen. Aber am Ende wurde es noch einmal richtig spannend. Vivien Scholz, die gestern noch problemlos gegen Alexandra Kaufmann gewonnenen hatte, zeigte Nerven und hielt die Partie offen, ehe sie mit 11:9 im fünften Satz dem Weiler Team das Halbfinale ermöglichte.“ Fazit und Auslick von Doris Spiess: „Jetzt sind wir nur zufrieden mit der Leistung unserer Mannschaft und freuen uns auf Berlin.“ Ferner noch ein diesmal recht kurzer Kommentar von Vivien Scholz: „Das letzte Spiel war nicht einfach, weil so viele Erwartungen auf mir lasteten. Jetzt bin ich erleichtert und überglücklich. Wegen solcher Abende liebe ich Tischtennis so sehr!“

Die Böblinger trugen es mit Fassung. „Das war ein Herzschlagfinale. Bezeichnend, dass dieses tolle Match mit den allerletzten beiden Bällen erst entschieden wird. Alles auf Augenhöhe, ein Match, das zwei Sieger verdient hätte“, sagte SVB-Coach Ingo Gotsch kurz nach der Partie. „Glückwunsch an Weil, tolle Stimmung, ein fairer und großer Kampf!“ Ingo Gotsch fügte hinzu: “Ebenso ein Lob an das Team Böblingen. Das war nach der Vorrunde eine herausragende Entwicklung der gesamten Mannschaft. Annett war heute erneut sehr stark mit drei Punkten, auch Hongi wieder mit zwei starken Siegen.“ Und SVB-Pressewart Manfred Schneider beschloss seinen Bericht mit diesem kurzen Saisonfazit: „Die SV Böblingen kann mit dieser Saison tatsächlich mehr als zufrieden sein. Nach der Vorrunde noch punktloses Schlusslicht, hat sie jetzt, obwohl nicht in Bestbesetzung, dem ESV Weil einen begeisternden Play-off-Kampf über die volle Distanz geliefert.“ 

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Das war nun das fünfte Play-off-Spiel der 1. Runde, von manchen auch als Viertelfinale bezeichnet, und alle fünf waren extrem spannend, ja geradezu aufwühlend. Nun sind wir gespannt, ob das morgige Entscheidungsspiel zwischen Schwabhausen und Kolbermoor – Spielbeginn 18 Uhr in Schwabhausen – der sechste Play-off-Krimi in Folge wird. Das Bayern-Derby hat fraglos das Potenzial dazu.

Beitragsbild: Steht erneut im Play-off-Halbfinale: ESV Weil, v.l. Hana Arapovic, Vivien Scholz, Polina Trifonova, Izabela Lupulesku, Ievgeniia Sozoniuk (Foto: Verein).

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